Vorzüglichkeit, Freiheit und Leidenschaft in der Bildung

[A translation into German of my “Excellence in Education,” first published in Decus in 2004.]

Vorzüglichkeit, Freiheit und Leidenschaft in der Bildung

Stephen R.C. Hicks

Übersetzung von Anja Hartleb-Parson

pencilsWenn man über Ausbildung schreiben soll, kann es schwer sein den Klischees zu entkommen: Vorzüglichkeit, Wahrheit, Ehre, Tradition, Zukunft.

Trotzdem erfassen diese Wörter wesentliche Ziele der Bildung, besonders für jene von uns an der Art von College, wie es das Rockford College ist und sein kann. Ich will mich hier auf die Vorzüglichkeit konzentrieren.

Meine gesamte Ausbildung fand in Kanada und den Vereinigten Staaten an großen Staatsschulen statt. Mein Psychologiekurs im ersten Semester hatte ungefähr 600 Studenten. Ich saß im hinteren Bereich eines riesigen Hörsaals, und bekam nie ein klares Bild von meinem Professor. Andere Kurse waren ähnlich. Die meisten meiner Prüfungen wurden maschinell oder von Jungakademikern zensiert. Ich hatte keine Klagen und erhielt eine gute Ausbildung an einer geachteten Universität in Kanada.

Als ich zum Rockford College kam, war es eine Offenbarung für mich, was an einem kleinen, frei-wissenschaftlichen College möglich ist. Kleine Kurse und persönliche Konversationen mit Professoren, Professoren, die unterrichten lieben, die sich die Zeit nehmen, Kommentare für Semesterarbeiten zu schreiben und Aufsätze zu zensieren, die mit Studenten in Labors zusammen arbeiten, und die persönliches Feedback für kreative Kunst und Projektarbeiten anbieten.

Nachdem ich mich an das Rockford College angepasst hatte, begann ich wie folgt darüber zu denken: Rockford College nimmt den freien Teil einer frei-wissenschaftlichen Bildung ernst. Es nimmt die Art von Bildung ernst, die freie Männer und Frauen verlangen. Dies wirft eine sehr philosophische Frage auf: Wie bildet man freie Menschen aus?

Ein Bestandteil der Freiheit ist gesellschaftlich: sich nicht autoritären Geboten unterwerfen zu müssen. Wir leben in einer demokratischen Republik, und nehmen unsere Freiheiten ernst. Ein Teil der Bildung ist es also, Menschen beizubringen, selbstverwaltende Bürger zu sein, Individuen, die sich gesunde Meinungen über komplizierte Sachen bilden können, die Vertrauen in ihre Entscheidungen und die Initiative haben, sie umzusetzen, und die die Geistesunabhängigkeit besitzen, sich von anderen nicht herumstoßen zu lassen.
Ein anderer Bestandteil der Freiheit ist kognitiv. Ignorante Individuen können kein völlig freies Leben führen. Wissen ist eine Form der Macht, und Macht dehnt den Bereich der Freiheit aus. Eine gut ausgebildete Person hat das Wissen und die Fähigkeiten, die aufregenden Dinge, die in den Künsten, den Geistes-, Natur- und Gesellschaftswissenschaften erreicht werden, frei zu erforschen.

Ein ausgezeichnetes College integriert diese zwei Bestandteile. Es maximiert Studentenkontakt mit sachkundigen Professoren und schafft eine liberale Umgebung von energischer Untersuchung und Erforschung.
Das ist aber die einfachere Aufgabe der Bildung. Was ein College für seine Studenten tut, ist wichtig, aber die harte Aufgabe besteht darin, was Studenten für sich selbst tun. Vorzüglichkeit in Bildung resultiert nur, wenn sich Studenten entscheiden, diese zu erreichen. Gute Lehrer und Ermutigung bedeuten nichts für einen Studenten, der keinen aktiven und leidenschaftlichen Verstand hat.

Ein aktiver Verstand ist Resultat des freien Willens. Er besteht in der Wahl, den Verstand zu dem zu öffnen, was die Welt zu bieten hat und diese Einstellung des aufgeschlossenen Strebens beizubehalten. Es kann schwer sein, natürliche Neugier so zu kultivieren, dass sie zur Gewohnheit wird, und Faulheit, Angst vor dem Fehlermachen, Angst Meinungen ändern zu müssen, und all die anderen selbstzerstörerischen Gewohnheiten, die einige Leute dazu führen, ihren Verstand zu verschließen, zu bewältigen. Die Gewohnheit des freien und aktiven Denkens zu entwickeln, ist der härteste Teil der Bildung, aber es ist die einzige Gewohnheit, die Vorzüglichkeit möglich macht.

Leidenschaft ist der andere Schlüssel. Vorzüglichkeit geschieht nicht ohne Leidenschaft.
Studenten sehen Ausbildung manchmal als eine Pflicht an. Sie sehen zum Unterricht gehen und Arbeiten schreiben als lästige Aufgaben an, die sie nur tun müssen, weil der Professor es verlangt. Natürlich laugt diese Denkweise jedwede Leidenschaft für Bildung, die der Student hat, aus.

Oder manchmal sehen Studenten Bildung als instrumental an, als eine Folge von Hürden, die übersprungen werden müssen, um Arbeit zu bekommen mit der die Rechnungen bezahlt werden können. Das laugt auch jede Leidenschaft aus.

Die beste Antwort zu jedem dieser Probleme ist eine, die man leicht vergisst: Niemand muss aufs College gehen, Unterricht besuchen, Aufsätze und Prüfungen schreiben. Am College geht es darum, zu erforschen und zu wachsen – und durch Vorträge und Laborarbeiten, Aufsätze und Prüfungen erforschen und wachsen Sie.

So finden Sie auch Ihre Leidenschaft. Ein Jahr hat zweiundfünfzig Wochen. Es macht einen großen Unterschied, für fünfzig Wochen zu arbeiten und etwas zu machen, was Sie nicht lieben, und dann zwei Wochen Urlaub zu haben — oder das zu machen, was Sie wirklich wollen: eine Karriere für die Sie Leidenschaft besitzen.

Für mich war es die Philosophie. Ich brauchte einige Zeit, bevor ich sie fand: Philosophie war mein fünftes Hauptfach nach Architektur, Ingenieurwesen, Theater und Politologie. Jeder Student folgt einem anderen Pfad, aber derselbe Punkt trifft auf jeden zu: tauchen Sie ein und erkunden Sie für eine Weile die verschiedenen akademischen Welten, bis Sie die finden, mit der Sie klicken. Aber tauchen Sie auch richtig ein und erforschen Sie.

* * *

Stephen Hicks ist Professor der Philosophie am Rockford College in Illinois und ist Autor von Explaining Postmodernism: Skepticism and Socialism from Rousseau to Foucault (Scholargy Publishing, 2004) und Nietzsche and the Nazis (Ockham’s Razor Publishing, 2010). Er kann über seine Webseite www.stephenhicks.org kontaktiert werden. Dieser Artikel erschien ursprünglich in der Frühjahrsausgabe des Magazins Decus, eine Publikation von Rockford University.

Anja Hartleb-Parson schreibt derzeit ihre Doktorarbeit in Politischer Theorie an der Northern Illinois University in DeKalb, Illinois. Sie kann über ihre Webseite www.philosophy-101.com kontaktiert werden.

Decus, Frühjahr 2004

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